Kirche und Pfarrei

Der Bassenheimer Reiter

Die Geschichte des St. Martinus-Reliefs

Der Name „Bassenheim“ verband sich in den vergangenen Jahrhunderten mit dem hier ansässigen Grafengeschlecht „derer Waldbott von Bassenheim“.

Eine überregionale, ja europäische Bedeutung erhielt der Ortsname mit der Entdeckung des Martinsrelief in der Bassenheimer Pfarrkirche als ein Werk des "Naumburger Meisters" durch Prof. Dr. Hermann Schnitzler am 21.03.19351.

Sowohl der Ortsname als auch St. Martin als Patron der Pfarrkirche deuten darauf hin, dass die Gemeinde Bassenheim die Martinsverehrung zur Zeit der fränkischen Landnahme ihren Anfang nahm. Mit dem Bau der heutigen neuromanischen Pfarrkirche wurde nachweislich am 26.04.1899 begonnen.

Die Pläne für die Kirche, die bereits im Jahre 1900 fertiggestellt wurden, stammen von dem Architekten Lambert von Frisenne (* 1852 – † 1903), die Konsekration des Gotteshauses erfolgte am 16.05.1903 durch den Trierer Weihbischof Schrod. Zur damaligen Zeit lebte im Bassenheimer Schloss Fräulein Blanche-Faquet (* 1841 – † 1911) als Gesellschafterin der Freifrau von Oppenheim. Sie stiftete für den Neubau der Kirche zunächst 80.000 Mark und stellte nach der Fertigstellung zur Tilgung der Schuldenlast nochmals 30.000 Mark zur Verfügung.
Ein Portrait der großzügigen Spenderin befindet sich im linken Seitenschiff der Kirche, die in den Jahren 1985 – 1990 umfangreich renoviert wurde.

Der Ritter, der seinen Mantel mit dem Armen teilt, ist ein Vorbild der christlichen Mildtätigkeit, das bis in unsere Gegenwart fortbesteht.

Das Martinsrelief

Das aus weißlich grauem Mainsandstein gearbeitete Relief ist nicht nur das bedeutendste Kunstwerk der Bassenheimer Pfarrkiche; vielmehr gehört es nach Meinung der Kunsthistoriker zu den hervorragendsten Exponaten der Stauferzeit 2.

Der aufmerksame Betrachter wird an dem fast quadratischen Relief mit den Maßen 113 × 114 cm eine „Beseelung des Steins“ beobachten, wie sie in der Bildhauerkunst zuvor nur im klassischen Altertum bekannt war.

Nach heutigen Erkenntnissen war das Kunstwerk ursprünglich für den Westlettner am Mainzer Martinsdom geschaffen worden, der nach Vollendung mit dem gesamten Westwerk des Domes am 04.07.1239 geweiht wurde.
Der Westlettner diente, anders als der Naumburger Ostlettner, nicht als Lesebühne, sondern lediglich als Chorschranke zur Abgrenzung des Langhauses zum Westchor.

Dargestellt wird die „Mantel-Legende“, eine Szene, die den Geist der christlichen Nächstenliebe symbolisiert und in vielen Liedern und Texten im gesamten mittel- und südeuropäischen Raum Verbreitung gefunden hat.

Pferd und Reiter, das Schwert, das zielbewusst den Mantel zerteilt, der Bettler, der nach der Mantelhälfte greift: Das alles strahlt Leben aus und zwingt den Betrachter unwiderstehlich zum Mitterleben der Szene und zur Besinnung.

Dorothea Isserstedt schließt in ihrer Abhandlung „Versuch einer Rekonstruktion – Der Bassenheimer Reiter des Naumburger Meisters“3 nicht aus, dass das Kunstwerk ursprünglich eine baldachinartige Bekrönung hatte, in welcher der zweite Teil der Martinslegende dargestellt war: Christus erscheint im Traum dem schlafenden Reiter – er selbst ist mit der Mantelhälfte bekleidet.

Gewissermaßen als Beweis für diese Theorie führt sie das gotische Siegel der Stadt Mainz aus dem 13. Jahrhundert an, bei dem unterhalb des Schriftbogen gleichfalls die Szene des schlafenden Reiters mit der Erscheinung Christi dargestellt war.

Die meisterhafte Qualität und die formale Besonderheiten des Siegels der Stadt Mainz, sowie des Reliefs, sprechen für eine Verbindung, gleichfalls die Reste des Lettners vom Mainzer Dom, obwohl ein überzeugender Beweis nicht erbracht werden kann 3.

Da dieser Lettner nachweislich im Jahre 1683 abgerissen wurde, hatte das Martinsrelief nahezu viereinhalb Jahrhunderte dort seinen Standort.

Der Naumburger Meister

Nach heutigen Erkenntnissen stammt der „Bassenheimer Reiter“ von einem namentlich nicht bekannten genialen Bildhauer und Architekten der gotischen Kunst. Der Künstler ist nach seinen großartigen Werken am Naumburger Dom in der Kunstgeschichte als „Naumburger Meister“ bekannt. Leider sind von seinem großartigen Werk im Mainzer Dom nur noch der  „Kopf mit der Binde“, die Reliefs einer Darstellung der „Seligen und Verdammten“ eines Weltgerichtes sowie der „Bassenheimer Reiter“ bekannt.

Unverkennbar sind in seinen Werken neben der plastischen Ausdruckskraft und dem einfachen Faltenstil vor allem die eindringliche Darstellung der Menschlichkeit und Lebensgröße seiner Gestalten.

Ohne Zweifel gehört das Martins-Relief in der Bassenheimer Pfarrkirche mit den Statuen am Straßburger Münster, am Bamberger und Baumburger Dom zu den berühmtesten Werken aus der hohen Blüte der Bildhauerkunst im Zeitalter der Staufer 2.

Casimir Ferdinand Adolf Graf Waldbott von Bassenheim

Als im Jahre 1683 im Mainzer Dom der Lettner entfernt wurde, lebte dort als angesehener Domherr Casimir Ferdinand Adolf Graf Waldbott von Bassenheim. Er war gleichzeitig Personatist der St. Martinskirche in seiner Heimatgemeinde Bassenheim und ließ in den Jahren 1718 – 1722 eine neue Pfarrkirche im barocken Stil erbauen (siehe auch Chronik).

Es wird angenommen, dass das Martinsrelief, als es 1683 von Mainz nach Bassenheim kam, zunächst in der damaligen wohl romantischen Kirche untergebracht wurde. Niederschriften belegen, dass es beim Abriss der Kirche „auf einem Backhäusschen“ nahe der Kirche aufbewahrt wurde, bis es seinen Platz in der 1722 vollendeten barocken Kirche fand.

Als die Barockkirche zu klein geworden war und durch die heutige Kirche ersetzt wurde, war es für Bassenheim ein Glückfall, dass der ehemalige Konservator Paul Clemen anordnete, dass das „in einer Chorseite vermauerte mittelalterliche Reliefbild des heutigen Martinus mit Rücksicht auf seinen hohe Kunstwert an passender Stelle im Innern des Kirchenneubaues wieder anzubringen sei 4.“

Prof. Dr. Hermann Schnitzler

Als junger Kunsthistoriker arbeitete Hermann Schnitzler mit bei der Registrierung der Kunstdenkmäler des Rheinlandes in den dreißiger Jahren.
Nahezu 250 Jahre waren vergangen seit der Überführung des Reliefs von Mainz nach Bassenheim, als der damals dreißigjährige Schnitzler am 21.03.1935 entdeckte, dass es sich bei dem Kunstwerk eindeutig um ein Werk des „Naumburger Meisters“ handelte, andere Kunsthistoriker gaben ihm – unter Weglassung des christlichen Inhalts – den Namen „Bassenheimer Reiter“.

Nach Entfernung eines gelben Farbanstrichs und Renovierung bei der Denkmalpflege in Bonn fand es dann seinen Platz im südlichen Seitenschiff der Bassenheimer Pfarrkirche.

Das Kunstwerk ist ein Kleinod europäischer Kunstgeschichte und besitzt noch heute seine hohe Bedeutung und Ausstrahlungskraft. St. Martin, der Bischof von Tours, der ehemalige römische Reiter, der am Stadttor von Amiens seinen Mantel mit dem Bettler teilte, fand Verehrung im gesamten europäischen Raum; er sollte der Patron eines vereinigten, friedlichen Europas sein.

  1. Hermann Schnitzler - Ein unbekanntes Reiterrelief aus dem Kreise des Naumburger Meisters. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Band I, Heft 7 (September 1937).
  2. Willibald Sauerländer in „Die Zeit der Staufer“, Württemberg. Landesmuseum Stuttgart 1977 - Katalog der Ausstellung, Band I.
  3. Dorothea Isserstedt - Der „Bassenheimer Reiter“ des Naumburger Meisters - Versuch einer Rekonstruktion - Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft - Herausgebener Hamann-MacLean, Richard u. Friede Dettweiler, Band 1b 1955.
  4. Paul Clemen, die Kunstdenkmäler des Landkreises Koblenz, Düsseldorf 1944, Nachdruck 1981.

Bildverzeichnis

  • CC BY-SA 2.0 de, Bassenheimer Reiter (2009-10-19 Sp).JPG, Lothar Spurzem, https://de.wikipedia.org/wiki/Bassenheimer_Reiter#/media/Datei:Bassenheimer_Reiter_(2009-10-19_Sp).JPG