Dorfleben

Wie es früher einmal war ...

Alois Stahl (Stahls All)

Als ich noch jung war, waren die Leute noch einfach und arm. Die Familien waren groß und die Eltern hatten oft 12 und noch mehr Kinder. Da fehlte es oft an Platz im Haus. In einem Zimmer standen 3 Betten und in jedem Bett schliefen 3 Kinder. Damals kannte man noch keine „Steaks mit Pommes“ und „Eis mit Sahne“. Auch Schokolade war noch ein Fremdwort. Hauptnahrung waren Kartoffelgerichte: Kartoffelsuppe, Kartoffelklöße, Deppe-Kooche, Pellkartoffeln mit Hering – 1 Hering auf 3 Kinder verteilt, aber wir waren gesund.
Eine besondere Freude war es immer, wenn vor dem Winter ein Schwein geschlachtet wurde. Dann gab es gute Wurstsuppe, soviel man essen wollte und jedes Kind bekam ein „Heinzelmännchen“. So nannten wir eine kleine runde Wurst.

Wenn es dann auf Weihnachten zuging, fingen wir schon 4 Wochen vorher an zu beten. Jeden Abend mindestens einen Rosenkranz fürs Christkind. In der Schule wetteiferten wir dann, wer schon die meisten Rosenkränze gebetet hatte. Als Geschenke gab es zu Weihnachten praktische Sachen: Selbstgestrickte Strümpfe und Handschuhe, Pullover und Hosen, die wir ohnehin nötig hatten, Schiefertafeln und Griffel für die Schule, Äpfel und Nüsse, die man im Herbst geerntet hatte und selbstgebackene Hefewecken – genannt „Ditze vom Hase“.

Wir Kinder mussten auch bei der Arbeit mithelfen. Schon mit 6 Jahren trugen wir abends beim Viehfüttern die Stalllaterne hin und her über den Hof, aus der Scheune und der Futterküche in den Stall, denn es gab noch kein elektrisches Licht. Auch Wasserleitungen gab es früher noch keine.
Im Keller war ein Brunnen und darüber eine Pumpe. Wenn der Brunnen im Hof war, holte man das Waser mit einem Eimer, der an einer Kette hing, aus dem Brunnen hoch. Vor dem Winter fuhren wir mit einem Handwagen in den Wald und sammelten Holz, soviel, dass man den ganzen Winter damit heizen konnte. Ölheizung gab es keine.

Alois Stahl in der Mitte der Kindergartenkinder, bei denen er sich sichtlich wohl fühlte.

Wurde mal jemand krank, dann hatte die Mutter fürs Erste Tee auf Vorrat. Kamillentee, den wir im Sommer am Feldrand gesammelt und getrocknet hatten. Im Garten wuchsen Pfefferminze, Salbei und Wermuth und bei Bauch- oder Zahnweh, Schnupfen oder Husten, hatte die Mutter immer das passende Kräutchen zum Tee parat.

Ich kann mich auch noch erinnern, als das erste Auto durch unser Dorf fuhr. Die Frauen liefen zusammen und riefen: „Die Ochtendungerhöhe rauf fährt ein Wagen ohne Pferde“. Da griffen sich die Alten an den Kopf und sagten: „Mein Gott, dies ist Spuk, nun geht bestimmt die Welt bald unter“. Von einem Motor mit Benzin als Treibstoff hatten sie noch nichts gehört. Es gab auch noch kein Radio und Fernsehen.

Im Sommer saßen wir abends vor dem Haus auf einer Bank und die Alten erzählten Geschichten oder es spielte jemand Mundharmonika und man sang dazu. Keine Schlager, sondern schöne alte Volkslieder!
An den langen Winterabenden saß man in der warmen Stube, oft mit Nachbarn zusammen. Im Ofen knisterte ein munteres Holzfeuer. Die Männer spielten Karten und rauchten Pfeife dazu. Die Kinder vertrieben sich die Zeit mit schönen alten Spielen: Mühle oder Dame, Lotto oder Domino. Um es spannender zu machen holten sie aus Mutters Knopfhose alte Knöpfe und rechneten damit Gewinn und Verlust ab. Zwischendurch wurden Nüsse geknackt, die man im Herbst gesammelt hatte und im Backofen brutzelten Bratäpfel, die mit Zucker bestreut, vortrefflich schmeckten. Für den Durst stand damals noch kein Kasten Bier im Keller, wir tranken guten Bur.

Und warum ich mit 85 Jahren hier sitze und Geschichten erzählen kann? Ich habe nie geraucht und nie getrunken und trotzdem war mein Leben schön und der Arzt hatte mit mir keine Sorgen. Im Allgemeinen erzähle ich diese Geschichten von früher den Kindern, die gerne zuhören. Manchmal ist es ganz gut, wenn man nochmal daran erinnert wird, wie es früher einmal war. Man empfindet dann vielleicht noch, was wir heute alles angenehmer und besser haben. Vielleicht würden wir dann nochmal ein bisschen zufriedener als gewöhnlich.

Handgeschriebenes Dokument von Alois Stahl

Diese Zeilen schrieb Stahls All (* 17.06.1889 ; † 1982) im Alter von 85 Jahren mit dem Hintergedanken, einmal zu überlegen, wie gut es uns doch eigentlich geht. Alois Stahl, der in der Dreifaltigkeitsstraße wohnte und Landwirt war, starb im Alter von 93 Jahren.