Dorfleben

Erinnerungen an die Großmutter in Gierschnach

Renate Severin

Obwohl der Vette Johann in Bassenheim schnell heimisch wurde, hatte er immer etwas Heimweh nach dem Maifeld. In Gierschnach war er zu Hause, dort wohnte auch noch seine Mutter, die Wittib Ann.
Bevor nun der Winter anbrach, machte sich der Johann in jedem Jahr auf den Weg, um die Mutter für die kalte Jahreszeit mit Holz zu versorgen. Gewöhnlich nahm er dann einen der Jungen mit, der ihm dann beim Holzhacken in Gierschnach behilflich sein musste. Nach Bassenheim kam die Maifelder Großmutter nie.

In einem Jahr jedoch machte der Johann bei der Maifeldreise eine Ausnahme: „Dies Jahr holle ech dat Suwie met no Jierchnech“, verkündete er. Widerspruch gab es nicht, die kleine Sophie musste mit. Die Reise wurde natürlich „zo Foẞ“ unternommen.
Unterwegs war der Johann besonders redselig. Die Sophie wunderte sich über die gute Laune des „Bappes“.

Als man an einem Wäldchen vorbeikam, fürchtete sie sich. Hatte sie doch oft von Wildschweinen gehört, die hier hausen sollten. „Wenn de Wellwutze komme, da hachen ech denne de Kneppel iwwe“, meinte der Bappe. Die Sophie war alsdann beruhigt. Sie wusste, der „Bappe“ war stark, „et kont neist passäre“.
Die Gierschnacher Großmutter war sehr groß und hatte eine schwarze Haube auf. Sophie fürchtete sich vor ihr, hatte sie doch gehört, wie die Mamme zo de Bas Ev jesoht hat: „Die Jierchneche hat Haar of de Zung.“ Sie wagte der Großmutter nicht auf den Mund zu sehen, trotzdem hätte sie die behaarte Zunge gerne gesehen.
Der Bappe redete die Großmutter respektvoll mit „Ihr“ an und war gar nicht mehr der Bappe, vor dem die Kinder zitterten. Nachdem die Großmutter die Sophie kritisch gemustert hatte, schickte sie die Kleine in den Keller. „Suwie, hie en de Ker on hol en Oppel von de Hurt“, hieß es. Folgsam kam die Sophie mit einem kleinen Apfel zurück. „Zeich de Oppel!“ hieß es weiter. „Dau bes e brav Mädche, on has de en kläne jeholt. Häs de en gruße jeholt, häs de en widde ronne jedrouhn.“

Abends musste die Sophie bei der Großmutter im Bett schlafen. „Dau lächst dech Zefeß!“ bestimmte die Großmutter. Die Sophie machte sich am Fußende des Bettes ganz klein und wagte nicht, die Großmutter zu berühren. Am anderen Morgen meinte die Großmutter dann:„Ech han jemerkt, dau lächst ruhig, heit Omend darfst de dech annestrem läje“.

Langsam verschwand Sophies Angst vor der Großmutter. Sie durfte sie nach Münstermaifeld begleiten. Dort gab es viel zu sehen, mehr als zu Hause in Bassem. Besonders die schöne Kirche „dat Meenster“, hatte es der Sophie angetan. Die Großmutter kaufte ihr eine feine Mütze. „Domet dau warme Uhre hast, Suwieche“, sagte sie, und ihre Stimme klang ganz verändert. Auch für den Bappe hatte die Großmutter „Primmtubak“ gekauft.

Als sie wieder heimwärts zogen, winkte die Großmutter noch lange. Es war ein weiter Weg, immer Richtung Karmelenberg. Die Großmutter hatte Sophie nicht mehr wiedergesehen. Von dem Besuch in Gierschnach berichtete Sophie noch, als sie selbst schon eine Greisin war.

  • Renate Severin: „Heimatbuch-Jahrbuch 1983 Kreis Mayen-Koblenz“, S. 193.